Arbeitsverträge enthalten nicht selten Regelungen zu variablen Vergütungsbestandteilen. Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine erfolgsabhängige, vom Erreichen bestimmter Ziele abhängige, variable Vergütung zugesagt, ist zwischen Zielvereinbarungen einerseits und Zielvorgaben andererseits zu unterscheiden. Bei Zielvereinbarungen werden die Ziele von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festgelegt. Demgegenüber werden Zielvorgaben vom Arbeitgeber alleine getroffen. Ob eine Zielvereinbarung oder eine Zielvorgabe vorliegt, ist durch Auslegung der vertraglichen Abrede zu ermitteln.
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in zwei Urteilen vom 12. Dezember 2007 (10 AZR 97/07) und 17. Dezember 2020 (8 AZR 149/20) entschieden, dass ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode gemeinsam Ziele zu vereinbaren, jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode, einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers mit dem Inhalt auslöst, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich so zu behandeln sei, als ob er 100 % der Ziele tatsächlich erreicht hätte. Eine Zielvereinbarung könne ihre Anreizfunktion nur dann erfüllen, wenn der Arbeitnehmer bereits bei Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kenne und wisse, auf das Erreichen welcher persönlicher und/oder unternehmensbezogener Ziele der Arbeitgeber Wert lege. Eine dem Sinn und Zweck einer Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum sei nicht möglich. Jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode, d.h. regelmäßig mit Ablauf eines Kalender- bzw. Geschäftsjahres, könne ein Arbeitnehmer daher Schadensersatz verlangen, wenn keine Zielvereinbarung getroffen wurde.
Offengelassen hat das Bundesarbeitsgericht bislang (1) die Frage, was gilt, wenn ein Arbeitgeber „nur“ zu einer (einseitigen) Zielvorgabe verpflichtet ist und diese nicht innerhalb der Zielperiode erfolgt und (2) ob ein (vollständiger) Schadensersatzanspruch auch schon vor Ablauf einer Zielperiode entstehen kann.
Mit diesen beiden Fragen hat sich das Landesarbeitsgericht Köln in einer aktuellen Entscheidung vom 6. Februar 2024 (4 Sa 390/23) befasst und wegen dieser bislang noch nicht höchstrichterlich geklärten Rechtsfragen auch das Rechtsmittel der Revision zum Bundesarbeitsgericht ausdrücklich zugelassen.
Sachverhalt
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt sah der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers eine variable Vergütung in Höhe von EUR 30.637,00 brutto bei einer Zielerreichung von 100 % vor, wobei die jeweiligen Ziele vom Vorgesetzten zu Beginn eines jeden Kalenderjahres definiert werden sollten. Es war daher eine Zielvorgabe vereinbart worden. Im Rahmen einer später abgeschlossenen Betriebsvereinbarung wurde geregelt, dass die jeweiligen Mitarbeiter bis zum 1. März eine Zielvorgabe erhalten, die sich zu 70 % aus Unternehmenszielen und zu 30 % aus individuellen Zielen zusammensetzt. Für das Kalenderjahr 2019 erfolgte jedoch erst Mitte Oktober 2019 eine konkrete Vorgabe hinsichtlich der Unternehmensziele. Der Arbeitnehmer machte in der Folge einen Schadensersatzanspruch für die volle variable Vergütung auch hinsichtlich der unternehmensbezogenen Ziele geltend, da diese im laufenden Geschäftsjahr zu spät vom Arbeitgeber festgelegt worden seien und er daher so gestellt werden müsse, als ob die Ziele vollständig erreicht worden wären. Es bestehe daher in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu unterlassenen Zielvereinbarungen ein entsprechender Schadensersatzanspruch.
Das Arbeitsgericht hatte in erster Instanz die Klage des Arbeitnehmers zunächst noch abgewiesen. Der Arbeitgeber habe die Unternehmensziele jedenfalls im Herbst 2019 und damit noch innerhalb des Geschäftsjahres 2019 festgelegt. Da die Zielperiode noch nicht abgelaufen sei, sei eine Festlegung der Unternehmensziele noch möglich gewesen und habe deshalb noch erfolgen können. Soweit vertreten werde, bei verspäteten und nicht vollständig unterbliebenen Zielvorgaben könne ebenfalls bereits ein Schadensersatzanspruch entstehen, gelte dies jedenfalls nicht für unternehmensbezogene Ziele, sondern allenfalls für individuelle Ziele. Ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgaben hinsichtlich der unternehmensbezogenen Ziele bestehe deshalb nicht.
Gegen dieses Urteil legte der Arbeitnehmer Berufung ein – mit Erfolg.
Zur Begründung führte er aus, dass die Vorgaben der Unternehmensziele für 2019 durch den Arbeitgeber verspätet erfolgt seien, weshalb von einer 100 % Zielerreichung im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Ziele auszugehen sei. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene Unterscheidung zwischen individuellen Zielen einerseits und unternehmensbezogenen Zielen anderseits, sei verfehlt. Ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgaben (im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Ziele) sei daher in voller Höhe gegeben.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln
Das Landesarbeitsgericht Köln folgte der Argumentation des Arbeitnehmers, gab der Berufung vollumfänglich statt und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung von Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgaben (im Hinblick auf die unternehmensbezogenen Ziele) für das Geschäftsjahr 2019.
Das Landesarbeitsgericht Köln stellte zunächst klar, dass eine unterlassene Zielvorgabe in gleicher Weise zu behandeln sei, wie eine unterlassene Zielvereinbarung. Eine unterlassene Zielvorgabe könne damit einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers in gleicher Weise begründen. Darüber hinaus stellte das Landesarbeitsgericht Köln sodann ausdrücklich klar, dass eine verspätete Zielvorgabe innerhalb eines laufenden Geschäftsjahres genauso zu behandeln sei, wie eine (vollständig) unterlassene Zielvorgabe. Erfolge eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen könne, sei sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt sei jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen sei. Dies gelte dabei nicht nur für individuelle (persönliche) Ziele, sondern auch für unternehmensbezogene Ziele. Denn die Anreizfunktion werde nicht per se dadurch ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betreffe.
Praxishinweise
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln ist gleich in zweifacher Hinsicht beachtenswert, als dass zum einen ausdrücklich klargestellt wurde, dass Schadensersatzansprüche von Arbeitnehmern nicht nur bei vollständig unterbliebenen, sondern eben auch schon bei „nur“ verspäteten Zielvorgaben (in voller Höhe) bestehen können. Zum anderen stellt das Landesarbeitsgericht Köln ausdrücklich klar, dass dies nicht nur für individuelle Ziele, sondern auch für unternehmensbezogene Ziele gilt.
Auch wenn das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln noch nicht rechtskräftig ist und eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts derzeit noch abzuwarten bleibt, sind Arbeitgeber bereits jetzt gut beraten, die sich aus dem Urteil ergebenen Vorgaben zu beachten. Arbeitgeber sollten daher nicht nur so früh wie möglich im laufenden Geschäftsjahr den Arbeitnehmern entsprechende Zielvorgaben machen und dies schriftlich dokumentieren, sondern diese von vornherein sowohl auf individuelle als auch unternehmensbezogene Ziele gleichermaßen erstrecken, sofern die mit der Zahlung einer variablen Vergütung verbundene Zielerreichung sowohl individuelle als auch unternehmensbezogene Ziele umfasst. Andernfalls besteht die Gefahr, dass gleichwohl 100 % der variablen Vergütung (quasi „durch die Hintertür“) als Schadensersatz an den Arbeitnehmer gezahlt werden muss, da die Rechtsprechung grundsätzlich davon ausgeht, dass auch 100 % der Ziele erreicht worden wären. Der in diesem Fall mögliche und vom Arbeitgeber zu erbringende Nachweis, dass die Ziele nicht erreicht worden wären, ist zwar möglich, in der Praxis aber durchaus schwierig. Arbeitgeber sollten daher zur Vermeidung derartiger Auseinandersetzungen stets frühzeitig klare (und auch erreichbare) Zielvorgaben definieren und diese schriftlich und nachweisbar gegenüber den Arbeitnehmern dokumentieren.