OLG Nürnberg: Untertägige Störungen einer Offshore-Anbindungsleitung sind gemäß § 17e EnWG zu entschädigen

Köln, 25.05.2023

Im Fall der Störung, Verzögerung oder Wartung einer Offshore-Anbindungsleitung steht dem Betreiber des Offshore-Windparks (OWP) gegen den anbindungsverpflichteten Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) eine gesetzliche Entschädigung gemäß § 17e EnWG zu. Der Gesetzgeber hat die verschuldensunabhängige Entschädigung mit Wirkung zum 28. Dezember 2012 in das EnWG aufgenommen, um die Haftungsfrage bei Nichtverfügbarkeit der Netzanbindung zu klären und die Planungssicherheit für die betroffenen OWP-Betreiber zu erhöhen. Diese Regelung enthielt einen sog. zeitlichen Selbstbehalt des OWP-Betreibers. Dieser sah vor, dass der OWP-Betreiber im Fall der Störung oder Verzögerung der Netzanbindung erst nach dem Ablauf von zehn Tagen eine Entschädigung erhält.

Offshore-Leitfaden der BNetzA

Die ÜNB haben ein wirtschaftliches Interesse daran, die Kosten für Entschädigungszahlungen nach § 17e EnWG in den Belastungsausgleich des § 17f EnWG einzubringen und über die Offshore-Netzumlage auf die Letztverbraucher von Strom umzulegen. Sie orientieren sich in ihrer Entschädigungspraxis daher an dem „Leitfaden zur Ermittlung einer umlagefähigen Entschädigung bei Störung, Verzögerung oder Wartung der Netzanbindung von Offshore-Anlagen“ aus dem Oktober 2013 der Bundesnetzagentur (BNetzA). Diese erkennt im Belastungsausgleich gemäß § 17f EnWG nur solche Entschädigungszahlungen an, die nach Maßgabe des Leitfadens ermittelt wurden. Auch wenn der Leitfaden für das zivilrechtliche Verhältnis zwischen OWP-Betreiber und ÜNB rechtlich unverbindlich ist, kommt diesem dadurch jedenfalls eine faktische Regelungswirkung auch für die Betreiber der OWP zu.

Nach den Vorgaben des Leitfadens unter Ziffer 2.3.1 sind bei Störung, Verzögerung und Wartung einer Offshore-Netzanbindung nur solche Tage zu entschädigen, an denen die Netzanbindung dem OWP ganztägig nicht zur Einspeisung zur Verfügung steht. Tage an denen in zeitlicher Hinsicht zumindest teilweise eine Einspeisung möglich ist, sind nach regulierungsbehördlichen Vorgaben bei der Berechnung der Entschädigungszahlungen nicht zu berücksichtigen. Nach dem Leitfaden besteht damit ein Anspruch auf Entschädigung nur dann, wenn die Offshore-Anbindungsleitung dem OWP-Betreiber ganztägig (also von 0:00 Uhr bis 24:00 Uhr) nicht zur Einspeisung von Strom zur Verfügung steht. Untertägige Störungen der Netzanbindung („Intraday-Störungen“) wurden daher bislang von den ÜNB unter Hinweis auf die im Leitfaden niedergelegte Rechtsauffassung der BNetzA nicht gemäß § 17e EnWG entschädigt.

Entscheidung des OLG Nürnberg

Der Kartellsenat des OLG Nürnberg hat mit Urteil vom 14. März 2023 (3 U 2465/20) u.a. entschieden, dass auch untertägige Nichtverfügbarkeiten einer Offshore-Anbindungsleitung gemäß § 17e EnWG zu entschädigen sind. Der Senat begründet seine Entscheidung wie folgt:

Wortlaut des Gesetzes

Der maßgebliche Gesetzeswortlaut enthalte keine klare Regelung dieser Frage. Zutreffend sei, dass nur ganze Tage bei der Berechnung der zeitlichen Selbstbehalte der OWP-Betreiber zu berücksichtigen seien. Dies zwinge jedoch nicht, auch die Entschädigung selbst nur für volle Tage zu gewähren. Aus der Formulierung „ab dem 11. Tag“ folge jedenfalls nicht zwingend, dass auch dieser 11. Tag vollständig von der Unterbrechung erfasst sein müsse.

Erst zum 1. Januar 2017 sei § 17e Abs. 3 EnWG um die Bestimmung in Satz 2 ergänzt worden, dass bei der Berechnung des zeitlichen Selbstbehalts die vollen Stunden zusammengerechnet würden, in denen die Wartungsarbeiten vorgenommen werden.

Systematik des Gesetzes

Das Verständnis, dass der 11. Tag nicht vollständig von der Unterbrechung erfasst sein müsse, stimme auch mit der Regelung in § 187 Abs. 2 BGB überein. Danach werde der Tag, auf dessen Beginn es ankomme bei der Berechnung einer Frist mitgezählt. Dies lege ein allgemeines Verständnis nahe, dass der Tag, dessen Beginn für bestimmte Rechtsfolgen maßgeblich sein soll, bereits zu dem Zeitraum zähle, in dem diese Rechtsfolgen gelten.

Aus § 17e Abs. 3 EnWG a.F. lasse sich jedoch nichts Entscheidendes ableiten. Diese Bestimmung sei ihrem Wortlaut nach anders strukturiert als § 17e Abs. 1 EnWG und knüpfe daran an, dass an Tagen wartungsbedingte Unterbrechungen gegeben waren. Dies bedeute, dass hier keine fortdauernde Unterbrechung erfolgt sein müsse. Insoweit liege ein relevanter Unterschied vor, doch lasse dies keine sicheren Schlüsse darauf zu, wie der nächste von einer Unterbrechung betroffene Tag zu behandeln sei. Da allerdings die Norm zeige, dass der Gesetzgeber untertägige Unterbrechungen durchaus vor Augen hatte und keine klare Aussage getroffen habe, dass diese nicht relevant sein sollen, lasse sich ein gewisses Argument für eine Entschädigungsrelevanz ableiten.

Dem Gesetzgeber müsse klar gewesen sein, dass Unterbrechungen nicht mit Tagesbeginn beginnen und enden. Technisch möglich sei eine engmaschige Erfassung, da ÜNB und OWP-Betreiber eine Erfassung und Abrechnung der eingespeisten Strommengen im Viertelstundentakt pflegen. Selbst wenn der Gesetzgeber von einer entsprechend detaillierten Erfassung aber nicht ausgegangen wäre, würde dies einer anteiligen Berechnung nicht entgegenstehen.

Sinn und Zweck der Entschädigung

Auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Entschädigungsregelungen sprechen nach Auffassung des Senats dafür, kurzfristige Nichtverfügbarkeiten einer Offshore-Anbindungsleitung gemäß § 17e EnWG zu kompensieren.

Die verschuldensunabhängige Entschädigungspflicht stelle einen Ausgleich dafür dar, dass ein OWP-Betreiber erhöhten Risiken ausgesetzt sei, u.a. auch deshalb, weil das N-1-Kriterium im Offshore-Bereich nicht gelte und der ÜNB die Komponenten daher nicht redundant auslegen müsse, was ihm erhebliche Kosten erspare. Die dadurch erhöhte Gefahr längerer Störungen sei damit dem ÜNB zugewiesen, zumal er durch geeignete Maßnahmen wie Wartung und Schulung der Betriebsmannschaft beeinflussen könne, ob und wie lange es zu Unterbrechungen komme. Der gesetzliche Selbstbehalt des OWP-Betreibers trage dabei dem Umstand Rechnung, dass erfahrungsgemäß auch bei den üblichen Anstrengungen Unterbrechungen auftreten können und der OWP-Betreiber die Folgen solcher Unterbrechungen typischen Ausmaßes auch dann zu tragen hätte, wenn er selbst für den Leitungsbetrieb verantwortlich wäre. Nur in diesem Umfang soll er am unternehmerischen Risiko des ÜNB beteiligt werden.

Der Gesetzgeber habe im Hinblick auf den gesetzlichen Selbstbehalt in § 17e Abs. 1 EnWG angeordnet, dass die Unterbrechung 10 (aufeinanderfolgende) Tage betragen müsse und die Entschädigung ab dem 11. Tag zu leisten sei. Dies besage jedoch nur, dass die Unterbrechungsdauer 10 volle Tage betragen müsse, d.h. hier Zusammenrechnungen jeglicher Art unterbleiben müssen. Würde anschließend eine Entschädigungspflicht erst für jeden weiteren vollen Tag eintreten, würde sich der zeitliche Selbstbehalt um 10 % verlängern. Dies dürfte nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen haben. Die Festlegung auf 10 Tage spreche dafür, dass damit der zeitliche Selbstbehalt abschließend festgelegt sei und sich nicht noch zusätzlich um einen weiteren Tag erhöhen sollte.

Gesetzesmaterialen

Die Passagen in den Gesetzesmaterialien „Soweit jedoch an insgesamt mehr als 18 ganzen Tagen Störungen... aufgetreten sind, ist vorgesehen, dass der Entschädigungsanspruch... unmittelbar ab dem 19. Tag besteht. Ist also die Anbindungsleitung schon mindestens 18 Tage im Jahr gestört gewesen, ... erhält der betroffene Betreiber... bei einer weiteren Störung unmittelbar ab dem ersten Tag der Störung die Entschädigung...“, die jeweils das Wort „unmittelbar“ enthalten, sprechen ebenfalls für die Entschädigung untertägiger Nichtverfügbarkeiten einer Offshore-Netzanbindung.

Der Umstand, dass der zu ersetzende Schaden „tagesscharf“ zu berechnen sei (BT-Drucksache 17/10754, S. 27), bedeutet ebenfalls nicht, dass nur ganze Tage zu entschädigen seien. Die erstrebte Orientierung daran, welcher Ertrag aufgrund der Windverhältnisse an jedem von einer Unterbrechung betroffenen Tag entgangen sei, lasse sich unschwer auch dadurch erzielen, dass die an dem Tag zu erwartende Strom-/Vergütungsmenge nach dem Dreisatz auf den Teil des Tages heruntergerechnet werde. Auf diese Weise werde auch eine Überkompensation ausgeschlossen.

Soweit die BNetzA auf die Passage in der Gesetzesbegründung verweise, in der es heiße, dass Tage nicht zu berücksichtigen seien, an denen zunächst teilweise eine Einspeisung möglich gewesen sei, bedeute dies nicht, dass diese Rechenregel auch für die nachfolgende Zeit gelten müsse. Dasselbe gelte für den Wortlaut des § 17e Abs. 1 Satz 1 EnWG.

Auswirkungen für die Praxis

Nach der Entscheidung des OLG Nürnberg sind auch untertägige Nichtverfügbarkeiten einer Offshore-Anbindungsleitung gemäß § 17e EnWG zu entschädigen. Dies überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung. Lediglich die gesetzlich vorgesehenen zeitlichen Selbstbehalte der OWP-Betreiber von zehn Tagen sind nach ganzen Tagen zu berechnen. Würde dies auch für den Entschädigungszeitraum gelten, würden die zeitlichen Selbstbehalte der OWP-Betreiber über den gesetzlich vorgesehenen Zeitraum hinaus verlängert. Der Gesetzgeber hat die zeitlichen Selbstbehalte der OWP-Betreiber in § 17e EnWG jedoch abschließend geregelt.

Auch wenn die Entscheidung des OLG Nürnberg nicht rechtskräftig ist, sollten OWP-Betreiber vorsorglich prüfen, ob Entschädigungsansprüche gemäß § 17e EnWG wegen untertägiger Nichtverfügbarkeit einer Offshore-Anbindungsleitung in Vergangenheit unter Hinweis auf die regulierungsbehördlichen Vorgaben des Leitfadens der BNetzA abgelehnt wurden und aufgrund der obergerichtlichen Entscheidung weitergehende Entschädigungsansprüche in Betracht kommen.

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