In der Praxis sehen sich Genehmigungsbehörden – insbesondere in Nordrhein-Westfalen – zunehmend mit Anträgen auf Erteilung von Vorbescheiden für Windenergieanlagen (im Folgenden „WEA“) nach § 9 Abs. 1a BImSchG konfrontiert. Dies betrifft insbesondere Projekte außerhalb ausgewiesener oder geplanter Windenergiegebiete, was zu Konflikten mit Anwohnern, Kommunen und der Landespolitik führen kann.
Als Reaktion darauf wurde das sogenannte „Lex Sauerland“ verabschiedet. Die Gesetzesänderung zielt darauf ab, den Bau von WEA außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete einzuschränken, indem für diese das berechtigte Interesse für den Erhalt eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids entfällt.
Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick über den Hintergrund, das Gesetzgebungsverfahren sowie die Auswirkungen der neuen Regelungen auf die Steuerung und Akzeptanz des Windenergieausbaus.
„Lex Sauerland“ – Hintergrund
Auslöser für die Debatte rund um das „Lex Sauerland“ – als solches bezeichnet, weil im Fokus der Diskussionen die Situation im Hochsauerlandkreis stand – war die zweite Änderung des Landesentwicklungsplans Nordrhein-Westfalens. Ziel dieser Änderung war es, durch die Anpassung der Regionalpläne 1,8 Prozent der Landesfläche für Windenergie auszuweisen. Bis zum Inkrafttreten sollte eine Übergangsregelung im Landesentwicklungsplan für Planungssicherheit sorgen, die den Bezirksregierungen die Möglichkeit gab, die Fortführung von Genehmigungsverfahren zeitweise zu untersagen. Dadurch wurde der Zubau von WEA außerhalb der vorgesehenen Windenergiegebiete faktisch verhindert.
Nachdem das OVG NRW den entsprechenden Plansatz unter anderem wegen eines Widerspruchs zum zwischenzeitlich in § 245e Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) geregelten Paradigmenwechsel für rechtswidrig befunden hatte (Urteil vom 16. Februar 2024 – 22 D 150/22.AK), unternahm der Landtag einen neuerlichen Versuch, eine rechtssichere Übergangsregelung zu schaffen. Dazu wurde § 36 Landesplanungsgesetz NRW (LPlG) um einen dritten Absatz ergänzt. Dieser erlaubt es den Genehmigungsbehörden, laufende Genehmigungsverfahren für Bauanträge für Windenergieanlagen bis zum Inkrafttreten der Regionalpläne auszusetzen, wenn das konkrete Vorhaben die Durchführung der Regionalplanung unmöglich machen oder wesentlich erschweren würde.
Doch auch hierin sah das OVG NRW keine zufriedenstellende Ausformung der vom Landtag erstrebten Übergangsregelung (Beschluss vom 26. September 2024 – 22 B 727.AK). Das Gericht erkannte in der Regelung des § 36 Abs. 3 LPlG einen Verstoß gegen Bundesrecht. Diese laufe den Bestimmungen zum Verwaltungsverfahren im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) zuwider, insbesondere solchen zum zeitlichen Ablauf des Verwaltungsverfahrens, wie beispielsweise § 10 Abs. 6a BImSchG. Derweil statuiere § 73 BImSchG, dass von den im BImSchG getroffenen Regelungen zum Verwaltungsverfahren sowie denjenigen, die aufgrund des BImSchG getroffen wurden, gerade nicht durch Landesrecht abgewichen werden dürfe. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht blieb allerdings mangels Entscheidungserheblichkeit aus.
In Reaktion darauf entwickelte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für die CDU-Fraktion einen Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/14234) – das „Lex Sauerland“. Ziel war es, durch eine bundesrechtliche Regelung sicherzustellen, dass immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ausgesetzt werden können, wenn sie einer geordneten Flächenplanung entgegenstehen. Dabei wurde die Notwendigkeit einer bundesrechtlichen Regelung auf die Annahme gestützt, dass eine breite Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort nur durch eine gezielte Steuerung mittels klar ausgewiesener Windenergiegebiete erreicht werden könne (BT-Drs. 20/14234, S. 1).
Der ursprüngliche Entwurf – Änderungen im WindBG und BauGB
Änderungen im WindBG
Änderungen waren nach der ursprünglichen „Lex Sauerland“ unter anderem hinsichtlich der Vorschriften des § 1 Abs. 2 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) und des § 4 Abs. 3 Satz 2 WindBG vorgesehen.
§ 1 Abs. 2 WindBG sollte um einen Satz ergänzt werden, der klarstellt, dass dem überragenden öffentlichen Interesse am Ausbau der Windenergie an Land nach § 2 EEG 2023 Rechnung getragen wird, sofern die Flächenziele nach Maßgabe von § 3 Abs. 1 und 2 WindBG erreicht sind. Diese Ergänzung sollte verdeutlichen, dass § 2 EEG 2023 - solange und soweit das Erreichen der Flächenbeitragswerte festgestellt ist -, ohne Einfluss auf die grundsätzliche Systematik des § 35 BauGB inklusive der Abwägung nach § 35 Abs. 2 BauGB sowie auf die Abwägungen nach § 1 Abs. 7 BauGB und § 7 Abs. 2 ROG bleiben soll.
Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 4 Abs. 3 Satz 2 WindBG ließ die anteilige Anrechnung von Rotor-innerhalb-Flächen auf Flächenbeitragswerte nur noch für solche Pläne zu, die nach dem 1. Februar 2024 wirksam geworden sind, anstatt – wie bisher – unabhängig von einem Stichtag. Diese Änderung zielte auf eine schnellere Erreichung der Flächenbeitragswerte, sodass in der Folge auch die Entprivilegierung von Windenergieanlagen zügiger eintreten sollte. Im Ergebnis hätte dies zu einer Verkleinerung der für Windenergie zur Verfügung stehenden Flächen geführt.
Änderungen im BauGB
Die Absicherung zukünftiger Planungen sollte neben Änderungen im WindBG auch durch Änderungen im BauGB umgesetzt werden, insbesondere durch Neufassung des § 245e Abs. 2 BauGB.
Danach sollte die Untersagung von Vorhaben längstens bis zum Ablauf des Stichtags für den Flächenbeitragswert möglich sein, wenn (1.) ein Verfahren zur Aufstellung eines Raumordnungs- oder Bauleitplans, mit dem der jeweilige Flächenbeitragswert im Sinne des § 3 Abs. 1 WindBG oder ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht werden soll, förmlich eingeleitet wurde, und (2.) der Vorhabenstandort außerhalb eines ausgewiesenen oder in Planung befindlichen Windenergiegebiets liegt. Dabei sollten Zurückstellungen nach der bisherigen Fassung des § 245e Abs. 2 BauGB als Untersagungen nach der neuen Fassung bei Vorliegen der Voraussetzungen fortgelten. Landesrechtliche Vorschriften, die vor der Neufassung in Kraft getreten sind, sollten von dieser nicht berührt werden.
Die beabsichtigten Maßnahmen sollten dazu beitragen, die Regelungsintention des Gesetzes zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergie zu unterstreichen. Diese habe gerade nicht darin bestanden, dazu zu animieren, vordergründig Genehmigungen für Windenergieanlagen an Standorten außerhalb der sich in Planung befindlichen Windenergiegebiete zu beantragen, denn hierdurch würde Planungsprozessen bewusst entgegengewirkt. Außerdem sollte durch die bundesrechtliche Regelung die Gefahr der Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das BImSchG gebannt werden.
Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte nach der Neufassung des § 245e Abs. 2 BauGB die Möglichkeit einer Untersagung auch in Bezug auf Vorhaben bestehe, für die der Zulassungsantrag bereits vor Einleitung des Planverfahrens eingegangen war.
Die beschlossene Fassung – Änderung des BImSchG
Das „Lex Sauerland“ stieß jedoch in den Ausschussberatungen und der öffentlichen Anhörung nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Dementsprechend reichten die Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und CDU/CSU einen Änderungsantrag ein, wonach statt den Regelungen des WindBG und des BauGB das BImSchG geändert werden sollte: Nach dem neuen § 9 Abs. 1a Satz 2 BImSchG soll das berechtigte öffentliche Interesse für einen Antrag auf Vorbescheid über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 35 BauGB nicht vorliegen, wenn der Vorhabenstandort außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete oder in Planung befindlicher Windenergiegebiete im Sinne des § 2 Nr. 1 WindBG liegt.
Die Zielrichtung der Änderung gleicht derjenigen der ursprünglichen „Lex Sauerland“. Bestätigt werden sollte die gesetzgeberische Intention, die Errichtung von WEA auf nach den planerischen Kriterien der Länder festgelegte Windenergiegebiete zu konzentrieren. Hierzu wurde die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten bei den Behörden mittels der Neufassung des § 9 Abs. 1a Satz 2 BImSchG als notwendig erachtet. Außerdem seien § 9 Abs. 1a BImSchG und das WindBG nicht darauf ausgerichtet, die Sicherung von Anlagenstandorten zu ermöglichen, die mit Erreichen der Flächenbeitragswerte tatsächlich nicht mehr ohne Weiteres zur Verfügung stünden. Ausgenommen von der Regelung sind Repowering-Vorhaben.
Der Bundestag hat die Änderung am 31. Januar 2025 mit dem Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergie-Ausbau beschlossen. Mit Beschluss vom 14. Februar 2025 hat der Bundesrat darauf verzichtet, einen Antrag auf Einberufung eines Vermittlungsausschusses zu stellen.
Auswirkungen auf die Praxis
Das Gesetz für mehr Steuerung und Akzeptanz beim Windenergie-Ausbau hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis.
Vor allem entfällt mit dem neuen § 9a Abs. 1a Satz 2 BImSchG die Möglichkeit der Sicherung von Anlagenstandorten auf Flächen, die nicht innerhalb von in bereits aufgestellten oder in sich noch in Aufstellung befindlichen Plänen ausgewiesenen Vorranggebieten liegen vollständig. Besonders für Vorhaben, für die bereits Genehmigungsanträge gestellt worden sind und entsprechende Investitionen getätigt wurden, birgt die Neuregelung das Risiko, dass diese Aufwendungen übergangslos ins Leere laufen.
Die erneute Anpassung des Rechtsrahmens innerhalb von nur sechs Monaten sorgt damit für fehlende Planungssicherheit aufseiten der Vorhabenträger. Ein Vergleich mit dem ursprünglichen Entwurf zeigt jedoch, dass weitreichendere Eingriffe in das bisher bestehende Regelungssystem verhindert wurden. So ist insbesondere hervorzuheben, dass die neue Regelung lediglich Vorbescheide und gerade nicht auch Vollgenehmigungsanträge betrifft. Der Möglichkeit der Standortsicherung ist damit zwar ein Riegel vorgeschoben worden. Ein Eingriff in die bundesweite Rechtssystematik der Ausbaubeschleunigung blieb jedoch letztlich aus, sodass die Gefahr einer weitreichenden Ausbauverzögerung aus praktischer Sicht zunächst verhindert werden konnte.
Ob das Gesetz tatsächlich in der Lage ist, zur Akzeptanzsteigerung beizutragen, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beurteilen.
Sollte weiterhin die Errichtung von WEA außerhalb von Windenergiegebieten angestrebt werden, kann auf die Regelung des § 245e Abs. 5 BauGB zurückgegriffen werden, der es Gemeinden ermöglicht, zusätzliche Windenergiegebiete auszuweisen. Ein frühzeitiger Dialog mit der Gemeinde ist klar zu befürworten und ist aus unserer Beratungspraxis entscheidend, um die Akzeptanz des Vorhabens zu erhöhen.
Moratorium für die Windenergie in NRW
Trotz der Bemühungen auf Bundesebene, den Konflikten zwischen Planungssicherheit und laufenden Genehmigungsverfahren zu begegnen, unternahm der nordrhein-westfälische Landtag zeitgleich mit dem Fünften Gesetz zur Änderung des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen vom 11. Februar 2025 einen dritten Anlauf zur Schaffung einer Regelung, die den Bau von Windenergieanlagen außerhalb von bereits ausgewiesenen Vorrangflächen sowie solchen, die sich in Planung befinden, verhindern soll.
Nach dem neuen § 36a LPlG NRW gilt, dass über die Zulässigkeit von Vorhaben zur Windenergienutzung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB für sechs Monate ab Inkrafttreten des Fünften Gesetzes zur Änderung des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen nicht entschieden werden darf, wenn sich ein Raumordnungsplan zur Erreichung der Flächenziele des WindBG in Aufstellung befindet und der jeweilige Vorhabenstandort außerhalb der in dem jeweiligen Entwurf des entsprechenden Raumordnungsplans vorgesehenen Windenergiegebiete liegt.
Zusätzlich soll ein Erlass zu § 36a LPlG kurzfristig veröffentlicht werden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Legal Updates war der vorbenannte Erlass noch nicht veröffentlicht.
Im Unterschied zu der bundesgesetzlichen Regelung sind davon alle Vorhaben umfasst mit Ausnahme von Repowering-Vorhaben im Sinne des § 16b Abs. 1 und 2 BImSchG sowie Vorhaben, für die bis zum Datum zehn Monate vor Inkrafttreten des Änderungsgesetzes vollständige Genehmigungsunterlagen bei der Genehmigungsbehörde vorlagen. In § 36a Abs. 4 LPlG ist vorgesehen, dass Bezirksregierungen auf Antrag des Vorhabenträgers ein Vorhaben durch Erklärung gegenüber der zuständigen Genehmigungsbehörde von der Untersagung befreien können, wenn ausnahmsweise eine Störung der Durchführung der Planung ausgeschlossen ist.
Der Sechs-Monats-Zeitraum basiert auf der Annahme der Landesregierung, dass die Aufstellung neuer Regionalpläne in allen fünf Regierungsbezirken und im Ruhrgebiet in sechs Monaten abgeschlossen sein wird. Ob dies in diesem Zeitraum allerdings tatsächlich geschehen wird, ist fraglich.
Auch ansonsten findet die Regelung bei verschiedensten Beteiligten wenig Anklang. Die Bedenken von Seiten der Praxis stellen sich als spiegelbildlich zu denjenigen zu der Gesetzesänderung auf Bundesebene dar. So wird die Neuerung im LPlG als Verletzung des Vertrauens in den Investitionsstandort Nordrhein-Westfalen betrachtet, da sie sich auch auf Projekte auswirkt, für die bereits vollständige Antragsunterlagen eingereicht und entsprechende Subventionen in beträchtlicher Höhe getätigt worden sind. Problematisch ist die Regelung auch, da nach dem reinen Wortlaut Vorhaben innerhalb kommunaler Positivplanungen ebenfalls ausgeschlossen sind. Hier erhofft sich die Branche über den zuvor benannten Erlass Klärung, ob das Gesetz tatsächlich einen so weitreichenden Ausschluss – auch von kommunaler Positivplanung – beabsichtigt hat.
Auch in der Politik stößt die Neuerung auf Ablehnung. Im Bundestag bezeichnet man das Moratorium zuweilen als Missachtung der Einigung, die auf Bundesebene erzielt wurde. Sicherlich wird sich das OVG NRW auch in diesem Fall kurzfristig mit einer Einschätzung zur neuen Regelung im LPlG NRW äußern.