Was verbirgt sich hinter der Taxonomie-VO?
„Nachhaltigkeit“ und „ESG“ (Environment, Social and Governance) sind Begriffe, die auch in der Immobilienwirtschaft in den letzten Jahren signifikant zugenommen haben. Hintergrund ist – wie bereits in der vorherigen Ausgabe 01_2022 unseres Newsletters unter „Anforderungen an die Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft durch die Taxonomie-Verordnung im Rahmen des europäischen „Grünen Deals‘“ beschrieben – das ambitionierte Ziel der EU, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden („Green Deal“). Einen bedeutsamen Schritt zur Erreichung dieses Ziels ist die EU durch die Taxonomie-VO (Verordnung (EU) 2020/852) gegangen, die durch delegierte Rechtsakte konkretisiert wird. Die aktuelle Fassung betrifft zunächst den Bereich „Environment“.
Das übergeordnete Ziel der Taxonomie-VO ist es zu definieren, wann eine wirtschaftliche Tätigkeit „ökologisch nachhaltig“ ist. Durch ein einheitliches Begriffsverständnis soll der Gefahr des sogenannten „Greenwashing“ entgegengewirkt werden.
Auswirkungen auf die Immobilienbranche
Da sich die Taxonomie-VO vorrangig an die Finanzmarktteilnehmer der EU richtet, enthält sie keine unmittelbaren Vorgaben für die Immobilienbranche. Aufgrund der durch die Taxonomie-VO aufgestellten Konformitätsprüfung (Wann ist eine wirtschaftliche Tätigkeit ökologisch nachhaltig?) werden aber auch andere Branchen erfasst.
(1) Green Lease
Bei der Gestaltung von Mietverträgen hat sich der Green Lease etabliert, welcher voraussichtlich zum Marktstandard werden wird. Als Green Lease wird ein Mietvertrag bezeichnet, der durch seine Gestaltung den Mieter zu einer möglichst nachhaltigen Nutzung und den Vermieter zu einer möglichst nachhaltigen Bewirtschaftung der Immobilie veranlassen soll.
Nach den Empfehlungen des ZIA (Zentraler Immobilien Ausschuss e. V.) muss ein Mietvertrag für die Einstufung als „Basis Green Lease“ jeweils mindestens eine Regelung aus den folgenden drei Kernbereichen enthalten:
- nachhaltige Nutzung und Bewirtschaftung des Mietgegenstands im laufenden Betrieb,
- Reduzierung von Abfällen, Verbräuchen und Emissionen sowie
- ökologisch unbedenkliche Durchführung von Erhaltungs-, Modernisierungs- und sonstigenBaumaßnahmen.
Als „erweiterter Green Lease“ gilt ein Mietvertrag, der zusätzlich eine inhaltliche Ergänzung der Basisregelungen, eine objektspezifische Ergänzung für die Zertifizierung und Vorschläge zu einer effektiven Durchsetzung der „grünen“ Regelungen vorsieht.
Die Aufnahme solcher Regelungen bewirkt über die vertraglich fixierte nachhaltige Nutzung der Immobilie hinaus auch konkrete wirtschaftliche Vorteile. So können Kosteneinsparungen durch geringere Verbräuche und Emissionen erzielt und die Attraktivität von Immobilien am Markt für An- und Verkauf gesteigert werden.
(2) An- und Verkaufstransaktionen
ESG-Aspekte spielen über den gesamten Investment-Lebenszyklus einer Immobilie eine Rolle.
Durch die delegierten Rechtsakte zur Taxonomie-VO wird erstmals ein konkreter Rahmen für die Beurteilung einer Immobilie als ökologisch nachhaltig geschaffen. Beispielsweise wird definiert, wann ein Neubau oder eine Renovierungs- bzw. Sanierungsmaßnahme taxonomiekonform ist. Bei der Due-Diligence-Prüfung wird immer häufiger eine ESG-Risikoanalyse durchgeführt, wobei insbesondere Bau, Planung, Bewirtschaftung und Nutzung der Immobilie beleuchtet werden. Im Rahmen der Verkaufsverhandlungen wird der Verkäufer künftig verbindliche Angaben, etwa zu den im Gebäude verbauten Rohstoffen sowie den Verbrauchsdaten der Immobilie, machen müssen.
Auch bei der Kaufvertragsgestaltung werden zunehmend ESG-Aspekte berücksichtigt, indem etwa Beschaffenheitsvereinbarungen bzw. Garantien des Verkäufers für erreichte Gebäudestandards (zum Beispiel Energiezertifizierung) aufgenommen werden.
Die Nachhaltigkeit einer Immobilie hat zudem auch einen erheblichen Einfluss auf die Bewertung der Immobilie. Es ist zu erwarten, dass die Preisunterschiede zwischen energieeffizienten bzw. taxonomiekonformen und nicht energieeffizienten Gebäuden in den nächsten Jahren größer werden. Investoren sowie Verkäufer sollten daher schon jetzt Nachhaltigkeitskriterien in ihren An- bzw. Verkaufsentscheidungen berücksichtigen.
Fazit und Ausblick
Zwar ergeben sich (noch) keine unmittelbaren gesetzlichen Vorgaben aus der Taxonomie-VO für die Immobilienwirtschaft. Aufgrund ihrer Auswirkungen auf den Finanzmarkt und des gesellschaftlichen Wandels steigt aber der Druck auf die Immobilienwirtschaft, Mietverträge möglichst „grün“ zu gestalten und die Taxonomie-Konformität einer Immobilie bei Transaktionen zu beachten. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Immobilienbranche gemeinsam mit der Bauwirtschaft für circa 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist.
Noch gibt es keinen Marktstandard. Gerade angesichts des Innovationspotenzials der Immobilienbranche und des „Green Deals“ ist es jedoch bereits heute ratsam, sich bei Immobilientransaktionen und der Gestaltung von Mietverträgen „im grünen Bereich“ aufzuhalten.