Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs behandelt einen interessanten Schnittpunkt zwischen dem öffentlichen Baurecht (Baugenehmigung) und dem zivilrechtlichen Nachbarrecht. Sie stärkt weiter die Rechtsposition von Eigentümern, deren Grundstücke über keine Verbindung zur öffentlichen Erschließungsstraße verfügen.
Wie lag der Fall hier?
Der Kläger ist Eigentümer eines an einem Hang gelegenen Hinterliegergrundstücks. Gemäß der bestandskräftigen Baugenehmigung aus dem Jahr 1956 war vorgesehen, dass man es über das davorliegende Fremdgrundstück von der öffentlichen Straße anfahren konnte. Diese Verbindung war jedoch nie hergestellt worden und im Zeitpunkt des Rechtsstreits war auch unklar, ob eine solche Verbindung – mit angemessenem Aufwand – jemals hergestellt werden könnte.
Statt der in der Baugenehmigung vorgesehenen Erschließungszufahrt nutzte der Kläger einen Umweg über seitlich liegende, gewerblich genutzte Grundstücke. Dies war ihm zunächst vertraglich erlaubt worden, bis ihm die betreffenden Nachbarn diese Nutzungsbefugnisse aufkündigten.
Der Kläger verklagte daher die besagten Nachbarn, über deren Grundstück er bisher sein eigenes Grundstückangefahren hatte, auf Einräumung eines Notwegerechts.
Wie hat das Gericht entschieden?
Der Bundesgerichtshof konnte den Streit noch nicht endgültig auflösen, da es noch weiterer Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht bedurfte, welches die Klage abgewiesen hatte. Dennoch enthält das Urteil interessante Beantwortungen einzelner Rechtsfragen.
Gemäß § 918 Abs. 1 BGB kann man von seinem Nachbarn insbesondere dann keine Einräumung eines Notwegerechts verlangen, wenn man die „bisherige Verbindung“ des Grundstücks durch eine „willkürliche“ Handlung selbst aufhebt. Dies leuchtet sofort ein: Wer sich selbst in eine Notlage bringt, ist weniger schutzwürdig und kann nicht ohne Weiteres von unbeteiligten Dritten die Übernahme entsprechender Belastungen erwarten.
Vorliegend hatte der Kläger die in der Baugenehmigung vorgesehene Verbindung aber nicht aufgehoben und es ließ sich offenbar auch nicht aufklären, aus welchen Gründen genau die Verbindung damals nicht hergestellt worden war. Direkt passt § 918 BGB daher ohnehin nicht auf diesen Fall.
Der Bundesgerichtshof lehnt aber auch eine analoge Anwendung ab. Dem Eigentümer müsse es – geradezu als Kerngehalt des Eigentumsrechts – möglich sein, mit seinem Grundstück in einem gewissen Rahmen frei zu verfahren. Hierzu gehöre, dass der Eigentümer sein Grundstück insbesondere im Einklang mit öffentlichen Vorschriften bebauen und zum Beispiel als Wohnhaus nutzen dürfe. Soweit die Baugenehmigung Bestandskraft habe und daher – gleich ob rechtlich richtig oder falsch – Rechtssicherheit schaffe, bewege der Kläger sich mit der Bebauung seines Grundstücks mit einem Wohnhaus vollauf im Rahmen seiner ihm zustehenden Rechte. Da die Baugenehmigung auch nicht von der Herstellung gerade dieser Zufahrt über das vordere Grundstück abhängig sei, habe ihre Legalisierungswirkung Bestand. Dem Kläger könne daher nicht im oben skizzierten Sinne zum Vorwurf gemacht werden, dass die vorgesehene Zufahrt nie hergestellt wurde.
In ähnlicher Weise hatte vor circa zwei Jahren ebenfalls das OLG Rostock (siehe Newsletter Ausgabe 02_2021) entschieden, dass ein Eigentümer auch dann nicht „willkürlich“ im Sinne des § 918 BGB handelt, wenn er seine Grundstücke so bebaut, dass eines davon zum „gefangenen“ Grundstück wird. Solange der Eigentümer die Grundstücke gemäß dem öffentlichen Baurecht legal bebaut, kann ihm die Ausübung dieser Rechte zivilrechtlich nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Ob dem hiesigen Kläger tatsächlich am Ende ein Notwegerecht zusteht, hing noch von weiteren Fragestellungen ab, nämlich unter anderem davon, ob der Kläger heutzutage die Verbindung über das vordere Grundstück aus technischer Sicht noch herstellen könnte und welchen Aufwand dies bedeuten würde. Unter anderem dies hat nun das Berufungsgericht zu entscheiden, an das der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit zurückverwiesen hat.
Bewertung
Das Urteil des Bundesgerichtshofs leuchtet insbesondere zu diesem speziellen Gesichtspunkt ein. Die Entscheidung zeigt dabei auf, wie das öffentliche Rechts auf das Zivilrecht einwirken und seine Wertungen sich sogar gegenüber zivilrechtlichen Wertungen durchsetzen können.
Rechtliche Voraussetzung einer Baugenehmigung ist, dass die Erschließung eines Grundstücks – das heißt, auch die Zufahrt mit einem Kraftfahrzeug – gesichert ist. Wird der Bestand der Baugenehmigung aber nicht davon abhängig gemacht, dass die vorgesehene Erschließung auch realisiert wird, kann dies dem Bauherrn nach Bestandskraft der Baugenehmigung erst einmal nicht mehr zum Nachteil gereichen. Die Baugenehmigung schafft nämlich Rechtssicherheit und einen Vertrauensschutz, der sich für den Bauherrn dann auch reflexhaft im Zivilrecht positiv auswirkt. Denn indem der Bauherr heute sein Grundstück im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Baugenehmigung rechtmäßig nutzt, kann man ihm auch zivilrechtlich nicht (mehr) vorwerfen, dass er selbst bzw. seine Rechtsvorgänger die damals in der Baugenehmigung vorgesehene Verbindung zur Straße hätten herstellen müssen.
Anders wäre der Fall vielleicht zu bewerten gewesen, wenn der Eigentümer oder seine Rechtsvorgänger von Beginn an die Absicht gehabt hätten, die in der Baugenehmigung vorgesehene Verbindung nicht umzusetzen, bzw. wenn sie die Umsetzung ohne sachlichen Grund unterlassen hätten. Diese Tatsachenbehauptungen waren aber vorliegend offenbar durch die Beklagten nicht in den Rechtsstreit eingebracht bzw. nicht bewiesen worden, sodass hierüber nicht zu entscheiden war.
Ob aber eine nach dem öffentlichen (Bau-)Recht gesicherte Rechtsposition besteht – und ob deren Ausübung sich im Einzelfall zivilrechtlich nicht als willkürlich darstellt –, ist eine Wertungsfrage. Es empfiehlt sich daher für Eigentümer, sich rechtlich profund beraten zu lassen, bevor man alles auf die gesetzliche Ausnahme eines Notwegerechts setzt.