Am 27. März 2020 ist das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ verkündet worden (nachfolgend: COVID-ZivilG). Das Gesetz ist mit Rückwirkung vom 1. März 2020 in Kraft getreten.
In Art. 2 COVID-ZivilG ist das „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ enthalten. Damit soll Gesellschaften ermöglicht werden, Haupt- und Gesellschafterversammlungen mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel durchzuführen. Gleichzeitig wird die gerichtliche Überprüfung von Verletzungen des Auskunftsrechts der Aktionäre stark eingeschränkt. Nachfolgend werden überblicksartig die wichtigsten gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Art. 2 COVID-ZivilG dargestellt.
Zeitliche Geltung
Die Regelungen des Art. 2 COVID-ZivilG sind als Ausnahmevorschriften konzipiert. Dementsprechend werden auch der Wortlaut des AktG und des GmbHG durch das neue Gesetz nicht geändert. Vielmehr werden Regelungen formuliert, die zeitlich beschränkte Abweichungen vom AktG und vom GmbHG zulassen. Gemäß Art. 2 § 7 COVID-ZivilG gelten die hier vorgestellten gesellschaftsrechtlichen Ausnahmevorschriften nur für Haupt- und Gesellschafterversammlungen, die im Jahr 2020 stattfinden.
HV-Teilnahme über elektronische Kommunikationsmittel
Schon bisher enthält das AktG die Möglichkeit, dass einzelne Aktionäre an der (Präsenz-)Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikationsmittel teilnehmen. Voraussetzung dafür ist aber eine entsprechende Satzungsregelung der jeweiligen Gesellschaft.
Nach Art. 2 § 1 Abs. 1, 6 COVID-ZivilG kann nunmehr der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats die Entscheidungen über (i) die Teilnahmemöglichkeit der Aktionäre an der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation, (ii) die Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation (Briefwahl), (iii) die Teilnahme von Mitgliedern des Aufsichtsrats im Wege der Bild- und Tonübertragung und (iv) die Zulassung der Bild- und Tonübertragung treffen, und zwar auch ohne entsprechende Ermächtigung durch die Satzung.
Online-HV
Von der Teilnahme an der HV über elektronische Kommunikationsmittel zu unterscheiden ist die sog. Online-HV. Eine reine Online-HV ohne jede physische Präsenz an einem bestimmten Versammlungsort war bisher vom Gesetz nicht vorgesehen.
Nach Art. 2 § 1 Abs. 2 COVID-ZivilG ist es nunmehr erstmals möglich, dass eine HV ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten als virtuelle HV abgehalten wird. Voraussetzung hierfür ist, dass (1.) die Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung erfolgt, (2.) die Stimmrechtsausübung der Aktionäre über elektronische Kommunikation (Briefwahl oder elektronische Teilnahme) sowie Vollmachtserteilung möglich ist, (3.) den Aktionären eine Fragemöglichkeit im Wege der elektronischen Kommunikation eingeräumt wird und (4.) den Aktionären, die ihr Stimmrecht nach Nummer 2 ausgeübt haben, in Abweichung von § 245 Nr. 1 AktG unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der HV eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der HV eingeräumt wird.
Die Entscheidung über die Abhaltung der Versammlung als Online-HV trifft der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats (Art. 2 § 1 Abs. 2, 6 COVID-ZivilG).
Auskunftsverlangen in der Online-HV
„Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, welche Fragen er wie beantwortet; er kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind“ (Art. 2 § 1 Abs. 2 a.E. COVID-ZivilG).
Im Dunkeln bleibt, was damit konkret gemeint ist und inwiefern der Maßstab des pflichtgemäßen, freien Ermessens denjenigen des § 131 AktG ersetzen soll, wonach eine Auskunft dann zu erteilen ist, wenn sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist.
Laut Begründung des von den Fraktionen CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzesentwurfs ist der Vorstand nicht verpflichtet, alle Fragen zu beantworten. Er kann sie zusammenfassen und im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen auswählen. Der Vorstand kann dabei Aktionärsvereinigungen und institutionelle Investoren mit bedeutenden Stimmanteilen bevorzugen (BT-Drucks. 19/18110, S. 26).
Zudem dürfte die dahingehende vom Vorstand getroffene Einschätzung nicht mehr vollständig gerichtlich überprüfbar sein. Vielmehr soll sich die gerichtliche Überprüfung wohl auf „Ermessensfehler“ beschränken.
Entscheidet sich der Vorstand zur Beantwortung der jeweiligen Frage, so wird er dies – trotz der insoweit missverständlichen Formulierung, es liege in seinem Ermessen, welche Fragen er „wie“ beantwortet – auch weiterhin richtig und vollständig tun müssen.
Einschränkungen des Anfechtungsrechts
§ 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG sieht schon bisher vor, dass eine Anfechtung von HV-Beschlüssen nicht darauf gestützt werden kann, dass Aktionärsrechte, die auf elektronischem Wege wahrgenommen worden sind, durch eine technische Störung verletzt wurden, es sei denn, der Gesellschaft ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen.
Art. 2 § 1 Abs. 7 COVID-ZivilG schränkt die Anfechtbarkeit nunmehr weiter ein: Die Anfechtung eines Beschlusses der HV ist bei Verletzungen der Regelungen zur Teilnahme und zur Stimmabgabe im Wege elektronischer Kommunikation ausgeschlossen, es sei denn, der Gesellschaft ist Vorsatz nachzuweisen.
Gleiches (d.h. Anfechtbarkeit nur bei Vorsatz) gilt, wenn eine Verletzung von „Absatz 2“ des Art. 2 § 1 COVID-ZivilG gerügt wird. Jener „Absatz 2“ enthält zum einen die Voraussetzungen, unter denen eine Online-HV abgehalten werden kann. Sind also die o.g. Voraussetzungen für eine Online-HV nicht gegeben und wird die Versammlung dennoch als Online-HV abgehalten, so sind die von ihr gefassten Beschlüsse insoweit nur anfechtbar, wenn sich der Vorstand und/oder der Aufsichtsrat vorsätzlich über die entsprechenden gesetzlichen Anforderungen hinweggesetzt haben.
Der Verweis in Art. 2 § 1 Abs. 7 COVID-ZivilG auf „Absatz 2“ bezieht sich zudem auf die (eingeschränkten) Auskunftspflichten des Vorstands in der HV. Dies bedeutet, dass eine widerrechtliche Nichterteilung von Auskünften (und wohl auch die Erteilung unrichtiger Auskünfte) nur dann zur Anfechtbarkeit des entsprechenden HV-Beschlusses führt, wenn dem Vorstand insoweit Vorsatz zur Last fällt. Für eine derart weitreichende Einschränkung des Anfechtungsrechts spricht neben dem Wortlaut der Regelung die Gesetzesbegründung, wonach „Verletzungen der eingeschränkten Auskunftspflicht in Absatz 2 Satz 2 keine Anfechtungsmöglichkeit begründen. Eine Anfechtungsmöglichkeit im Falle vorsätzlicher Verstöße gegen das Gesetz bleibt jedoch generell bestehen“ (BT-Drucks. 19/18110, S. 27).
Einberufung der HV
Unabhängig davon, ob die Versammlung als Präsenz- oder als Online-HV abgehalten wird, gelten weniger strenge Regelungen für die Einberufung:
Die ordentliche HV muss nicht innerhalb der ersten acht Monate nach Geschäftsjahresende stattfinden, es genügt wenn sie innerhalb von zwölf Monaten nach Geschäftsjahresende stattfindet (Art. 2 § 1 Abs. 5 COVID-ZivilG).
Die Einberufungsfrist kann auf den 21. Tag vor einer HV verkürzt werden. Der Nachweis des Aktienbesitzes bei börsennotierten Gesellschaften (Record Date) muss sich auf den Beginn des zwölften Tages vor der Versammlung beziehen und muss bei Inhaberaktien der Gesellschaft bis spätestens am vierten Tag vor der Hauptversammlung zugehen, soweit in der Einberufung der Hauptversammlung keine kürzere Frist für den Zugang des Nachweises bei der Gesellschaft vorgesehen ist (Art. 2 § 1 Abs. 3 COVID-ZivilG).
Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn
Eine Dividendenzahlung in Form eines Abschlags auf den Bilanzgewinn ist nunmehr auch ohne HV-Beschluss und ohne Satzungsermächtigung möglich. Ausreichend ist ein Beschluss des Vorstands samt Zustimmung des Aufsichtsrats (Art. 2 § 1 Abs. 4, 6 COVID-ZivilG).
GmbH: Abstimmung im Umlaufverfahren
Bei der GmbH war es schon bisher möglich, Gesellschafterversammlungen ohne physische Präsenz durchzuführen, insbesondere Abstimmungen im sog. Umlaufverfahren abzuhalten.
Art. 2 § 2 COVID-RegE regelt nun, dass abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG Beschlüsse der Gesellschafter in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter gefasst werden können.
Fazit
Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des COVID-ZivilG enthalten erhebliche Erleichterungen für die Vorbereitung und Durchführung der für das Jahr 2020 geplanten Hauptversammlungen. Zu beachten ist, dass insbesondere die deutlichen Einschränkungen des Auskunfts- und des Anfechtungsrechts der Aktionäre nach der Systematik des Gesetzes nur dann Anwendung finden, wenn die Versammlung als Online-HV durchgeführt wird.