Arbeitnehmerüberlassung: Einschränkung des Konzernprivilegs durch das BAG

Frankfurt am Main, 28.01.2025

Die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung wird in der Praxis nicht selten als Instrument genutzt, um auf wandelnden Personalbedarf innerhalb des Konzerns zu reagieren oder konzerninterne unternehmensübergreifende Organisationsstrukturen umzusetzen (bspw. bei der Gestaltung von Matrixorganisationen oder bei der Besetzung von Positionen in neu gegründeten Konzerngesellschaften).

Nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) kann die Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzerngesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen privilegiert sein, sodass eine Vielzahl der Vorschriften des AÜG keine Anwendung findet. Voraussetzung für das Konzernprivileg ist, dass es sich bei den beteiligten Unternehmen um Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Aktiengesetz (AktG) handelt (wobei anzumerken ist, dass diese Voraussetzung bisher relativ weit verstanden wurde) und dass der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. 

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 12. November 2024 (Az.: BAG 12.11.2024 – 9 AZR 13/24, bislang nur als Pressemitteilung veröffentlicht) entschieden, dass eine Berufung auf das Konzernprivileg des AÜG regelmäßig dann ausscheidet, wenn ein Arbeitnehmer von Beginn seines Arbeitsverhältnisses an über mehrere Jahre hinweg einem anderen Unternehmen desselben Konzerns zur Arbeitsleistung überlassen wird. 

Sachverhalt

Der Kläger war über einen Zeitraum von knapp zwölf Jahren (von 2008 bis 2020) bei der S-GmbH als Sitzfertiger angestellt. Seine Arbeit verrichtete der Kläger jedoch ausschließlich auf dem Werksgelände der Beklagten, die demselben Konzern wie die S-GmbH angehörte. 

Der Kläger und die Beklagte stritten sodann über die Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen der S-GmbH und der Beklagten: 

Während der Kläger die Auffassung vertrat, dass zwischen der Beklagten und der S-GmbH eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorläge, in dessen Folge gem. § 10 Abs. 1 AÜG i.V.m. § 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten zustande gekommen sei, berief sich die Beklagte auf das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG.

Entscheidung

Das LAG Niedersachsen hatte die Voraussetzungen des Konzernprivilegs gem. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG als erfüllt angesehen und die Klage mit Urteil vom 9. November 2023 (Az.: 5 Sa 180/23) abgewiesen. Zur Begründung führte das LAG Niedersachsen aus, dass die Regelungen des AÜG bei einer Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen nur dann nicht anzuwenden sind, wenn sowohl die Einstellung als auch die Beschäftigung zum Zweck der Überlassung erfolgt sind, mithin beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen.

Dieser Interpretation widersprach das BAG und führte aus, dass das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht anwendbar ist, wenn auch nur einer der beiden Voraussetzungen erfüllt ist. Das BAG stellt somit klar, dass das „und“ in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht kumulativ, sondern als alternative Aufzählung zu verstehen ist und begründete dies mit dem Willen des Gesetzgebers, wonach das Konzernprivileg des AÜG dann nicht zur Anwendung kommen soll, wenn der Arbeitnehmer zum Zwecke der Überlassung eingestellt „oder“ beschäftigt wird. 

Vom BAG im Rahmen der Pressemitteilung offengelassen wurde, wann von einer Einstellung bzw. Beschäftigung zum „Zweck der Überlassung“ auszugehen ist. Eine durchgehende Überlassung seit Beginn des Arbeitsverhältnisses über mehrere Jahre indiziert nach Auffassung des BAG jedenfalls aber eine Beschäftigung zum Zweck der Überlassung.

Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung des BAG trifft in der Praxis auf Kritik, wobei sich vor allem die Frage stellt, warum das BAG eine dem Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG widersprechende Interpretation  („oder“ statt „und“) vornimmt.

Welche konkreten Schlussfolgerungen sich aus dem Urteil des BAG für die Praxis ableiten lassen, ist bis zur Veröffentlichung der Entscheidungsgründe derzeit noch offen.

Bereits jetzt lässt sich für Unternehmen jedoch Folgendes festhalten:

Auf Grundlage der Pressemitteilung schränkt das Urteil den Gestaltungsspielraum von Unternehmen bei konzerninterner Arbeitnehmerüberlassung ein. Unternehmen sollten aktuelle konzerninterne Arbeitnehmerüberlassungen unter Berücksichtigung der Interpretation des BAG prüfen und diese bei einer rechtlichen Unsicherheit ggf. beenden. 

Unternehmen, die als Verleiher agieren und noch nicht im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis sind, sollten in Betracht ziehen, eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu beantragen. Dieser Prozess ist nicht unaufwendig und nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch. 

Bei künftigen Arbeitnehmerüberlassungen sollten Arbeitnehmer nicht bereits zu Beginn der Beschäftigung in einem Konzernunternehmen eingesetzt werden, sondern erst einmal beim (eigenen) Vertragsarbeitgeber. 

Künftig sollten Unternehmen von einem langjährigen konzerninternen Einsatz in einem (oder ggf. mehreren) Konzernunternehmen absehen. Daher sollten die Einsätze von Vorneherein befristet werden (im Idealfall ohne Verlängerungsoption) und/oder mit einem bestimmten Einsatzzweck verknüpft werden (bspw. mit einem Projekt). Zudem sollten Unternehmen ein entsprechendes Kontrollsystem implementieren, das nachhält, ob die Einsätze bei Ablauf der Zeitdauer oder Wegfall des Zwecks tatsächlich beendet werden. 

Zu beachten ist außerdem, dass in Fällen, in den das Konzernprivileg nicht greift, die Vorgaben des AÜG vollumfänglich anzuwenden sind. Dies bedeutet unter anderem, dass das Verleihunternehmen eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis benötigt, dass zudem eine Höchstüberlassungsdauer einzuhalten ist und der Einsatz ausdrücklich als Arbeitnehmerüberlassung zu bezeichnen ist. 

Wurde von einem Konzernprivileg i.S.d. § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ausgegangen, ohne dass die Voraussetzungen für das Konzernprivileg auf tatsächlicher Ebene erfüllt sind, handelt es sich bei dem Einsatz um eine sog. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung. In diesem Fall ist die Arbeitnehmerüberlassung nach § 9 AÜG unwirksam mit der Rechtsfolge, dass ab dem für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt gem. § 10 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem verliehenen Arbeitnehmer und dem Entleihunternehmen als zustande gekommen gilt. 

Dies bedeutet auch, dass das Entleihunternehmen hätte Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge abführen müssen, was es aufgrund der Annahme eines Konzernprivilegs regelmäßig nicht getan hat. Auf § 266a StGB und die entsprechenden steuerrechtlichen Vorschriften wird hingewiesen. Im Übrigen stellt eine erlaubnispflichtige Überlassung ohne entsprechende Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis eine Ordnungswidrigkeit nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG dar und kann mit einer Geldbuße von bis zu EUR 30.000,00 geahndet werden.

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