Überblick über die Rechtslage und bisherige Rechtsprechung
Bis zum Erlass der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit (im Folgenden Leiharbeitsrichtlinie) war es in Deutschland zulässig, Leiharbeitnehmer dauerhaft und damit ohne zeitliche Höchstgrenze zu überlassen und zu entleihen (vgl. BAG, Urteil v. 25.1.2005 - 1 ABR 61/03). Nach der herrschenden Meinung im arbeitsrechtlichen Schrifttum verstößt eine solche dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung jedoch gegen die Leiharbeitsrichtlinie, die bis zum 5. Dezember 2011 umzusetzen war.
Zur Umsetzung der Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber daher im Dezember 2011 § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG eingeführt, wonach die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher "vorübergehend" erfolgt. Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts hat § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht lediglich einen klarstellenden Charakter, sondern enthält ein ausdrückliches Verbot einer mehr als nur vorübergehenden Überlassung von Arbeitnehmern (BAG, Urteil v. 10.7.2013 - 7 ABR 91/11; bestätigt durch BAG, Urteil v. 10.12.2013 - 9 AZR 51/13). Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10. Juli 2013 dahinstehen lassen, ob die Einführung dieses Verbots aufgrund der Leiharbeitsrichtlinie tatsächlich erforderlich war. Eine Konkretisierung des Begriffs der vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung wurde ebenfalls nicht vorgenommen. Wie das Bundesarbeitsgericht in einem weiteren Urteil vom 10. Dezember 2013 (9 AZR 51/13) klargestellt hat, folgt aus einer nicht nur vorübergehen-den Überlassung jedoch nicht, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher entsteht (vgl. hierzu unseren Newsletter 1/2014, S. 4 f.).
Die Kritiker der herrschenden Meinung und dieser Rechtsprechung gehen hingegen nicht nur davon aus, dass die Leiharbeitsrichtlinie kein Verbot dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung enthält. Sie sehen in einem solchen Verbot durch § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG vielmehr einen - vom Bundesarbeitsgericht nicht thematisierten - Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie, wonach Verbote oder Einschränkungen von Leiharbeit nur aus Gründen des Allgemeininteresses zulässig sind.
Die finnische Vorlage an den EuGH vom 9. Oktober 2013 (C-533/13)
Genau dieses Spannungsfeld betrifft die derzeit anhängige Vorlage des finnischen Työtuomioistuin an den Europäischen Gerichtshof vom 9. Oktober 2013 (C-533/13). Anlass der Vorlage ist eine finnische Regelung, wonach der Einsatz von Leiharbeitnehmern nur zulässig ist, wenn er zum Ausgleich von Auftragsspitzen oder für Arbeiten erfolgt, die aufgrund zeitlicher oder qualitativer Vorgaben (infolge der Dringlichkeit, der erforderlichen Ausrüstung oder ähnlicher Gründe) nicht durch die Stammarbeitnehmer des Entleihers erledigt werden können. Aufgrund dieser Norm hält das vorlegende Arbeitsgericht es nach finnischem Recht für unzulässig, Leiharbeitnehmer längerfristig neben den eigenen Arbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben des Unternehmens einzusetzen.
Das finnische Arbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof daher u.a. die folgenden Fragen vorgelegt:
"Ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Einsatz von Leiharbeitnehmern nur in den eigens aufgeführten Fällen wie dem Ausgleich von Arbeitsspitzen oder bei Arbeiten, die nicht durch eigene Arbeitnehmer eines Unternehmens erledigt werden können, zulässig ist? Kann der längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben des Unternehmens als verbotener Einsatz von Leiharbeitskräften eingestuft werden?"
Anmerkung
Es bleibt zwar abzuwarten, ob der Europäische Gerichtshof diese Vorlagefragen zum Anlass nehmen wird, sich - was wünschenswert wäre - generell zur Frage der Zulässigkeit dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung zu äußern. In jedem Fall dürften aus der zu erwartenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs wichtige Erkenntnisse zur Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie und insbesondere zur Zulässigkeit des Verbots einer mehr als nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG gewonnen werden können. Dies dürfte auch Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung der aktuellen Pläne der großen Koalition haben, die nach dem Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode eine Höchstdauer von 18 Monaten für die Überlassung von Leiharbeitnehmern einführen will. Eine solche Überlassungshöchstdauer wäre ebenfalls an Art. 4 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie zu messen.
Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs Rückschlüsse für die Beantwortung der ebenfalls umstrittenen Frage gezogen werden können, was unter einer "vorübergehenden" Arbeitnehmerüberlassung zu verstehen ist. Hierzu werden derzeit unterschiedlichste Ansichten vertreten, wobei auch anlassbezogene Beschränkungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern vorgeschlagen werden, wie sie Gegenstand der finnischen Vorlage sind.
Es bleibt also weiterhin spannend im Recht der Arbeitnehmerüberlassung! Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs sollten Arbeitgeber aufgrund der möglichen Rechtsfolgen eines Verstoßes (vgl. hierzu bereits unseren Newsletter 1/2014, S. 4 f.) ihr Augenmerk allerdings weiterhin auf § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG richten.