Am 18. August 2023 wurde das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Gesetz soll ausländischen Fachkräften einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen und so dem Fachkräftemangel vieler Unternehmen entgegenwirken.
Fachkräftemangel in Deutschland
In vielen Regionen und Branchen fehlen in Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte. Die Zahl der offenen Stellen lag 2022 bei rund 1,98 Millionen und war damit so hoch wie nie zuvor. Neben inländischem Potential setzen deutsche Unternehmen in letzter Zeit vermehrt auf Fachkräfte aus dem Ausland. Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung sollen bestehende Hürden abgebaut werden und Fachkräfte aus dem Ausland schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können.
Die drei Säulen der Fachkräfteeinwanderung
Die Fachkräfteeinwanderung soll künftig auf drei Säulen ruhen: der Fachkräfte-, Erfahrungs- und der Potenzialsäule. Die Fachkräftesäule soll dabei das zentrale Element der Einwanderung bleiben. Die Voraussetzungen für die Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte sowie einer Blauen Karte EU werden durch das neue Gesetz vereinfacht. Bei der Erfahrungssäule liegt der Fokus auf der Berufserfahrung. Arbeitskräften mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung soll künftig bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen die Einwanderung ermöglicht werden. Die dritte Säule berücksichtigt das Potenzial der Arbeitskräfte. Dafür wird insbesondere eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitssuche neu eingeführt (sog. Chancenkarte).
Geringere Voraussetzungen für die Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte
Die Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte ermöglicht ausländischen Arbeitskräften mit Berufsausbildung oder akademischer Ausbildung die Erwerbstätigkeit in Deutschland.
Durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz steht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in diesen Fällen nicht mehr im Ermessen der Behörde. Liegen die Erteilungsvoraussetzungen vor, besteht ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (§§ 18a, 18b AufenthG nF). Weiterhin wird die Verknüpfung von erworbener Ausbildung und ausgeübter qualifizierter Beschäftigung aufgehoben. Zukünftig gilt: Wer einen Abschluss hat, kann jede qualifizierte Beschäftigung ausüben.
Leichterer Zugang zur Blauen Karte EU
Auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Blauen Karte EU (§ 18g AufenthG nF) werden gelockert. Damit setzt der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie (EU) 2021/1883 um. Ziel der Blauen Karte EU ist die langfristige Gewinnung hochqualifizierter Fachkräfte mit einem bestimmten Mindestbruttojahresgehalt. Nach 33 Monaten haben Inhaber der Blauen Karte EU die Möglichkeit, ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu erhalten.
Geringere Erteilungsvoraussetzungen
Durch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird die Mindestgehaltsschwelle für die Erteilung abgesenkt. Arbeitskräfte in Regelberufen müssen nur noch 50 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung als Gehalt vorweisen; sog. Engpassberufe nur 45,3 %. Die neue Mindestgehaltsschwelle läge aktuell bei 43.800 EUR brutto im Jahr für Regel- und 39.682,80 EUR brutto im Jahr für Engpassberufe. Die geringere Gehaltsschwelle gilt zudem nicht mehr nur für Engpassberufe, sondern auch für Arbeitskräfte, die ihren Hochschulabschluss innerhalb der letzten drei Jahre vor Beantragung der Blauen Karte EU erlangt haben. Auch wurden die unter die Engpassberufe fallenden Berufsgruppen erweitert. Bisher zählten die Berufsgruppen Naturwissenschaftler, Mathematiker, Ingenieure, Humanmediziner und IT-Spezialisten zu den Engpassberufen. Zukünftig zählen auch Berufsgruppen wie beispielsweise Führungskräfte verschiedener näher definierter Branchen (z.B. im Gesundheitswesen), akademische und vergleichbare Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte sowie Tierärzte und Lehrkräfte als Engpassberufe.
Blaue Karte EU für IT-Spezialisten
Eine weitere wesentliche Neuerung betrifft den IT-Sektor. Erteilungsvoraussetzung der Blauen Karte EU ist grundsätzlich ein in Deutschland anerkannter Hochschulabschluss. IT-Spezialisten benötigen zukünftig keinen Hochschulabschluss mehr. Für den Erhalt einer Blauen Karte EU ist der Nachweis einer mindestens dreijährigen Berufserfahrung ausreichend, deren Niveau mit einem Hochschulabschluss vergleichbar ist. Für den IT-Sektor gilt außerdem die niedrigere Gehaltsschwelle für Engpassberufe (§ 18g Abs. 2 AufenthG nF).
Aufenthaltserlaubnis für Arbeitskräfte mit Berufserfahrung
Arbeitskräfte, die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss haben, können zukünftig in allen nicht reglementieren Berufen in Deutschland arbeiten (§ 19c Abs. 2 AufenthG iVm § 6 BSchV nF). Die formale Anerkennung des Berufsabschlusses in Deutschland ist nicht mehr erforderlich. Um zu verhindern, dass diese qualifizierten Fachkräfte im Niedriglohnsektor eingesetzt werden, muss jedoch eine gewisse Gehaltsschwelle eingehalten werden.
Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft
Die Anerkennung einer ausländischen Berufsqualifikation bleibt in reglementierten Berufen, beispielsweise Medizinberufen, weiterhin erforderlich und kann auch für andere Berufe für eine langfristige berufliche Integration vorteilhaft sein. Die Aufenthaltserlaubnis für eine Anerkennungspartnerschaft (§ 16d Abs. 3a AufenthG nF) ermöglicht die Einreise und den Aufenthalt, um einen Berufsabschluss in Deutschland anerkennen zu lassen. Eine Anerkennung vor der Einreise ist demnach nicht mehr nötig. Voraussetzung ist, dass sich Fachkräfte und Arbeitgeber zu einer Anerkennungspartnerschaft verpflichten. Im Gegenzug kann die Fachkraft in Deutschland bereits vom ersten Tag an eine existenzsichernde Beschäftigung aufnehmen.
Chancenkarte zur Arbeitssuche
Für Arbeitskräfte, die noch kein konkretes Arbeitsplatzangebot haben, aber Potenzial für den deutschen Arbeitsmarkt mitbringen, wird eine sog. Chancenkarte eingeführt (§§ 20a, 20b AufenthG nF). Dabei handelt es sich um eine Aufenthaltserlaubnis zur Suche nach einer Erwerbstätigkeit oder nach Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikation, die für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr erteilt wird. Eine Verlängerung auf bis zu zwei Jahre ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Die Chancenkarte kann auf zwei Wege erlangt werden: Antragstellende, die als Fachkraft iSd. § 18 Abs. 2 AufenthG nF gelten, können die Chancenkarte ohne weitere Voraussetzungen erhalten. Alle übrigen Antragsteller müssen eine ausreichende Punktzahl nach einem festgelegten Punktesystem erreichen. Zu den Auswahlkriterien des Punktesystems gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und das Potenzial des mitziehenden Ehe- oder Lebenspartners. Inhaber der Chancenkarte sind berechtigt, eine Beschäftigung von durchschnittlich 20 Stunden je Woche sowie eine Probebeschäftigung für jeweils höchstens zwei Wochen auszuüben.
Hinweise für die Praxis
Die geplanten Änderungen erleichtern den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitskräfte erheblich. Arbeitgeber, die bislang primär auf dem deutschen Arbeitsmarkt nach Arbeitskräften gesucht haben, könnten daher erwägen, auch den ausländischen Arbeitsmarkt für die Rekrutierung von Arbeitskräften in den Blick zu nehmen. Arbeitgeber, die schon jetzt vermehrt auf Fachkräfte aus dem Ausland zurückgreifen, sollten sich frühzeitig mit den geplanten Änderungen auseinandersetzen, um frühestmöglich von den Erleichterungen des neuen Gesetzes profitieren zu können. Einige Regelungen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung treten bereits ab November 2023 in Kraft. Die übrigen Änderungen folgen im März bzw. Juni 2024.