Das Bundesgesundheitsministerium hat mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ein Reformpaket auf den Weg gebracht, dessen Ziel es ist, die Krankenkassen finanziell zu stabilisieren. Das Gesetz sieht neben anderen Maßnahmen die Aufhebung der sogenannten „Neupatientenregelung“ vor, welche bislang zentrale extrabudgetäre Vergütungsmöglichkeiten für Arztpraxen und Medizinische Versorgungszentren (MVZ) gewährleistet. Mit einer Streichung wären voraussichtlich längere Wartezeiten und Aufnahmestopps für Patienten sowie erhebliche Umsatzeinbußen für viele Arztpraxen und MVZ verbunden. Daher ist die geplante Aufhebung auch für Investoren von großer Relevanz.
Vergütungssystem bei Arztpraxen
Die Neupatientenregelung sieht eine extrabudgetäre Vergütung der ambulanten Behandlung von Neupatienten durch Arztpraxen und MVZ vor und stellt damit eine Ausnahme vom regelhaften Vergütungssystem dar, das einer Budgetierung unterliegt. Wird dieses Budget von der Arzpraxis oder dem MVZ überschritten, werden Behandlungsleistungen nur abgestaffelt oder gar nicht mehr vergütet. Von diesen Begrenzungen sind extrabudgetär vergütete Leistungen ausgenommen; deren Erbringung ist deshalb für Arztpraxen und MVZ besonders attraktiv.
Einführung der Neupatientenregelung 2019
Die Neupatientenregelung wurde 2019 mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) eingeführt. Privilegiert werden ärztliche Leistungen gegenüber Patienten, die in der Arztpraxis erstmals untersucht und behandelt werden oder die mindestens zwei Jahre dort nicht untersucht und behandelt wurden. Diese Leistungen werden von den Krankenkassen außerhalb der üblichen Gesamtvergütung vergütet. Alle Patienten, die erstmals oder zuletzt vor über zwei Jahren (acht Quartale) in einer Praxis behandelt werden, gelten als Neupatienten. Die Regelung dient bislang als Anreiz für Praxen, mehr Sprechstundentermine anzubieten und mehr neue Patienten zu behandeln.
Geplante Aufhebung der Neupatientenregelung ab 2023
Die Neupatientenregelung soll nun durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz zum 1. Januar 2022 abgeschafft werden. Den Gesetzentwurf hat die Bundesregierung bereits beschlossen. Der Bundesrat hingegen hat sich in seiner Stellungnahme vom 2. September 2022 gegen die Aufhebung der Neupatientenregelung ausgesprochen. Der weitere Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens bleibt daher abzuwarten.
Nach der Begründung des Gesetzentwurfs soll die Neupatientenregelung wegfallen, um Geld einzusparen. Laut dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) könnte es sich hierbei um einen Betrag von etwa 400 Millionen Euro handeln. Dieses Geld würde den Arztpraxen bei einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch den Deutschen Bundestag fehlen.
Auswirkungen auf Arztpraxen, MVZ und Investoren
Die Aufhebung der Neupatientenregelung würde sich zum einen negativ auf die Versorgung von Patienten auswirken: Laut Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), sei das geplante Gesetz „ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland“. Der Widerstand der Kassenärztlichen Vereinigungen und vieler Arztverbände gegen die geplante Aufhebung ist daher groß.
Zum anderen würde sich die Aufhebung auch negativ auf die Umsätze betroffener Arztpraxen und MVZ auswirken. Seit der Einführung der Neupatientenregelung im Jahre 2019 wirkt sich diese Regelung finanziell positiv auf die ambulanten Leistungserbringer aus, da nicht selten ein wesentlicher Anteil der ärztlichen Leistungen extrabudgetär vergütet wird und diese Vergütung keinen Einschränkungen unterliegt.
Ebenso negativ würde sich die Aufhebung auf die Geschäftserwartungen von Investoren auswirken, die zwar keine Arztpraxen, jedoch Krankenhäuser erwerben können, um mit deren Hilfe MVZ zu gründen. Geschmälerte Geschäftserwartungen können einen Investitionsrückgang begründen und so potentiell einem Innovations- und Modernisierungsstau Vorschub leisten, was der Qualität der ambulanten Versorgung in Deutschland insgesamt abträglich sein kann.
Bedeutung beim Praxisverkauf: Kaufpreis und neue Praxis
Bei der Umwandlung einer Arztpraxis in ein von einem Investor gehaltenes MVZ im Rahmen eines Praxisverkaufs würden sich im Falle der Aufhebung der Neupatientenregelung die zu erwartenden geringeren Umsätze regelmäßig auch negativ auf die Kaufpreisberechnung auswirken.
Auch ohne eine gesetzliche Aufhebung der Neupatientenregelung ist diese Thematik beim Praxisverkauf von großer Bedeutung: Da die Neupatientenregelung nur für Neupatienten gilt, stellt sich die Frage, ob nicht bei einer Umwandlung einer Arztpraxis in ein neues MVZ eine neue Praxis entsteht, so dass alle Patienten für das MVZ „neu“ wären. Bejaht man diese Frage, wäre die Neupatientenregelung über einen Zeitraum von zwei Jahren auf das neue MVZ temporär nicht anwendbar. Geboten ist daher eine eingehende rechtliche Beratung, welche die Rechtspositionen der jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen berücksichtigt.
Fazit
Die Aufhebung der Neupatientenregelung würde zu einer gravierenden finanziellen Belastung von Arztpraxen und MVZ führen. Daraus ergibt die große Bedeutung dieser Thematik für die Investoren. Es bleibt abzuwarten, ob im Laufe des weiteren Gesetzgebungsverfahrens die Streichung der Regelung noch aufgehalten werden kann. Bliebe die Neupatientenregelung bestehen, wäre bei Umwandlungen von Arztpraxen in MVZ regelmäßig zu prüfen, ob die Neupatientenregelung auf das MVZ anwendbar ist. Praxistransaktionen sollten daher stets durch eine versierte gesundheitsrechtliche Beratung begleitet werden.