„Berliner Mietendeckel“: Überblick über den Gesetzentwurf

Berlin, 19.09.2019

Nachdem der Senat von Berlin am 18. Juni 2019 Eckpunkte zum sogenannten „Mietendeckel“ beschlossen hatte (vgl. Legal Update vom 25.06.2019), hat die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen nunmehr auf Grundlage dieser Eckpunkte den Entwurf eines „Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (Berliner MietenWoG)“ (Stand: 30. August 2019) vorgelegt. Das Gesetz soll im Januar 2020 in Kraft treten und automatisch fünf Jahre danach wieder außer Kraft treten. Mit Inkrafttreten gilt rückwirkend auf den Stichtag 18. Juni 2019 ein Mietenstopp, d.h. die Mieten werden auf dem Stand per Stichtag eingefroren. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes sind voraussichtlich rund 1,5 Mio. Berliner Mietwohnungen betroffen.

Bundesgesetzliche „Mietpreisbremse“

Schon bisher besteht eine bundesgesetzlich festgelegte „Mietpreisbremse“ für Wohnraum, die für von den Ländern festzulegende Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten gilt (§ 556d BGB). Im Fall Berlins ist das gesamte Landesgebiet als angespannter Wohnungsmarkt festgelegt worden. Danach darf die Miete zu Beginn des Mietverhältnisses die ortsübliche Vergleichsmiete höchstens um zehn Prozent übersteigen. Das Bundesverfassungsgericht hält diese Regelung für verfassungskonform.

Gesetzentwurf zum „Berliner Mietendeckel“

Der Entwurf des „Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin“ enthält gegenüber der „Mietpreisbremse“ in § 556d BGB erheblich weitreichendere Regelungen, die nachfolgend skizziert werden.

Anwendungsbereich

Das Gesetz gilt für alle im Land Berlin bestehenden Wohnraummietverhältnisse mit Ausnahme besonderer Konstellationen.

In diesem Sinne nicht vom Gesetz erfasst sind Mietverhältnisse über Wohnraum des öffentlich geförderten Wohnungsbaus und über Wohnraum, der ab dem 1. Januar 2014 erstmalig bezugsfertig wurde, sowie Wohnheime und Wohnraum, der durch Träger zur Überlassung an Personen mit dringendem Wohnbedarf gemietet oder vermietet wird.

Mietenstopp

  • Die Berliner Nettokaltmieten einschließlich etwaiger Zuschläge für Mobiliar und Ausstattungsgegenstände dürfen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nicht erhöht werden. Die Bestandsmieten werden für diesen Zeitraum auf den Stand zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Eckpunktepapiers am 18. Juni 2019 gedeckelt. Das gilt auch für vereinbarte Staffel- und Indexmieten. Sie werden ebenfalls auf die am 18. Juni 2018 bestehende Miete eingefroren.
     
  • Bei der Zweitvermietung von Wohnungen darf höchstens die zuletzt vereinbarte Miethöhe aus einem vorherigen Mietverhältnis verlangt werden.
     
  • Die vorgenannten Höchstwerte steigern sich ab dem ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes jährlich um 1,3 Prozent, soweit die Mietobergrenze hierdurch nicht überschritten wird.
     
  • Die Vermieter sind verpflichtet, den Mietern bei Neuvermietung oder auf Anforderung von Mietern und Bezirksamt die zum Stichtag (18. Juni 2019) geltende bzw. zuletzt geschuldete Miete mitzuteilen.

Mietobergrenze 

  • Es wird eine Mietobergrenze eingeführt, die auch für bereits bestehende Mietverträge gilt. Sie richtet sich nach dem Jahr der erstmaligen Bezugsfertigkeit der Wohnung sowie der Ausstattung (Sammelheizung, Bad) und reicht von 3,92 Euro (vor 1918 ohne Sammelheizung/Bad) bis 9,80 Euro (2003 bis 2013 mit Sammelheizung/Bad) pro Quadratmeter/Monat. Eine Differenzierung nach der Lage oder der Ausstattungsqualität der Wohnung findet nicht statt.
     
  • Wurde die Wohnung in den letzten 15 Jahren vor Inkrafttreten des Gesetzes modernisiert, erhöht sich die Mietobergrenze um die erfolgte Modernisierungsumlage, höchstens jedoch um 1,40 Euro. Wird die Mietsache nach Inkrafttreten des Gesetzes modernisiert, erhöht sich die Mietobergrenze um 1,00 Euro.

Anspruch auf Herabsetzung der Miete

  •  Den Mietern wird ein Anspruch auf Herabsetzung einer überhöhten Miete auf die zulässige Mietobergrenze eingeräumt, den sie durch einen Antrag beim zuständigen Bezirksamt geltend machen müssen.
     
  • Eine Miete wird als überhöht angesehen, insoweit die Mietbelastung mehr als 30 Prozent des anrechenbaren Gesamteinkommens des Mieterhaushaltes beträgt und die Miete die Mietobergrenze einschließlich genehmigter Mieterhöhungen übersteigt. Bei der Berechnung der Mietbelastung ist nur der Teil der Miete zu berücksichtigen, der auf eine angemessene Wohnfläche entfällt. Als angemessen gelten 50 m² bei einem Einpersonenhaushalt, 65 m² bei einem Zweipersonenhaushalt, 80 m² bei einem Dreipersonenhaushalt, 90 m² bei einem Vierpersonenhaushalt sowie zusätzlich 12 m² für jede weitere zum Haushalt gehörende Person. Bei einem Einpersonenhaushalt müsste daher der auf 50 m² entfallende Anteil der Miete mehr als 30 Prozent des Gesamteinkommens übersteigen, damit ein Anspruch auf Herabsetzung der Miete (für diesen Anteil) besteht.
     
  • Für den Fall eines Verstoßes gegen den Mietenstopp, also das Verbot einer Mieterhöhung über den Stand zum 18. Juni 2019 hinaus, ist in dem Gesetzentwurf keine Herabsetzung der Miethöhe durch das Bezirksamt geregelt. Auch in den Fällen, in denen die Mietbelastung trotz Überschreitung der Mietobergrenze unter 30 Prozent des anrechenbaren Gesamteinkommens des Mieterhaushaltes liegt, ist keine Herabsetzung der Miethöhe durch das Bezirksamt vorgesehen. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob der Mietenstopp und die Mietobergrenze als sog. Verbotsgesetze i.S. § 134 BGB anzusehen wären und die Mieter berechtigt sein könnten, unter Verstoß gegen den Mietenstopp oder die Mietobergrenze gezahlte Mieten zurückzufordern.

Mieterhöhungen nach Modernisierungen

  • Modernisierungsumlagen werden begrenzt und diesbezügliche Genehmigungs- und Anzeigepflichten für Vermieter begründet.
     
  • Anzeige-, aber nicht genehmigungspflichtig sind alle Modernisierungsumlagen bis zur Mietobergrenze.
     
  • Überschreitet die modernisierungsumlagebedingte Mieterhöhung die Mietobergrenze, ist die Mieterhöhung genehmigungspflichtig.

Die Genehmigung ist durch das Bezirksamt zu erteilen, soweit die der Mieterhöhung zugrunde gelegten Kosten für die Modernisierungsmaßnahme angemessen sowie unabweisbar sind und eine der nachfolgenden Fallgruppen vorliegt:

  • Verpflichtung des Vermieters aufgrund eines Gesetzes zur Modernisierung;
     
  • Erforderlichkeit der Modernisierung zur Erreichung der Klimaschutzziele des Landes Berlin;
     
  • Beseitigung oder erhebliche Verminderung von Barrieren an der Mietsache durch Modernisierung;
     
  • Zwingende Notwendigkeit der Modernisierung zur Behebung erheblicher Ausstattungsdefizite. Solche Defizite liegen allerdings nur vor, wenn der Wohnraum ohne Sammelheizung, ohne Bad oder ohne Innen-WC ausgestattet ist.

Das zuständige Bezirksamt kann der Investitionsbank Berlin die Prüfung der Angemessenheit und Unabweisbarkeit der Kosten für die Modernisierung übertragen.

Anspruch auf Mieterhöhungen in Härtefällen

In Härtefällen kann der Vermieter beim zuständigen Bezirksamt einen Antrag auf Genehmigung einer Mieterhöhung stellen, soweit dies aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich des Vermieters liegen, erforderlich ist. Eine unbillige Härte liegt insbesondere vor, wenn die Beibehaltung der zulässigen Miete auf Dauer zu Verlusten für die Vermieter oder zur Substanzgefährdung der Mietsache führen würde.

Sofern das Bezirksamt eine Überschreitung der Mietobergrenze genehmigt, ist der betroffene Mieter berechtigt, einen Mietzuschuss bis zur Höhe der Überschreitung der Mietobergrenze bei der Investitionsbank Berlin zu beantragen.

Verstöße als Ordnungswidrigkeiten

Verstöße gegen das Berliner Mietengesetz werden als Ordnungswidrigkeit behandelt und mit einem Ordnungsgeld von bis zu EUR 500.000,00 geahndet.

Rechtsbehelfe

Gegen behördliche Maßnahmen und Entscheidungen nach dem Gesetz findet kein Widerspruchsverfahren statt, so dass unmittelbar Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin zu erheben ist. Die aufschiebende Wirkung solcher Klagen wird durch das Gesetz ebenfalls ausgeschlossen.

Verfassungsrechtliche Diskussion

Die Regelungen des Gesetzes sind in verfassungsrechtlicher Sicht umstritten. Dies gilt insbesondere hinsichtlich einer Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin für die Begrenzung der Mietenhöhe. Für das bürgerliche Mietrecht ist der Bund als Gesetzgeber zuständig. Auf diese Kompetenz stützt sich auch die „Mietpreisbremse“ des § 556d BGB. Der Berliner Senat beabsichtigt, den „Mietendeckel“ auf die Landeskompetenz für die Regelung des Wohnungswesens zu stützen. Das Land Berlin wäre das bisher einzige Bundesland mit einer entsprechenden Regelung.

Der „Mietendeckel“ ist ferner mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht der Vermieter nach Art. 14 Abs. 1 GG sowie Art. 23 Berliner Landesverfassung, die Vertragsfreiheit, die Berufsfreiheit und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kontroversen verfassungsrechtlichen Diskussionen ausgesetzt.

Die Rückverlagerung des Geltungsbeginns des Gesetzes auf einen Zeitpunkt vor dessen Beschluss ist verfassungsrechtlich ebenfalls von Bedeutung. Eine Rückbewirkung von Rechtsfolgen unterliegt engen Ausnahmevoraussetzungen.

Ausblick und weiteres Vorgehen

Die vorstehende Übersicht gibt den Inhalt des Referentenentwurfs vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens wieder. Es ist wahrscheinlich, dass sich Einzelheiten im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ändern. Wenn die Grundsystematik – Mietenstopp und Mietobergrenze mit einem Anspruch auf Herabsetzung der Miete – bestehen bleibt, ist damit zu rechnen, dass sowohl die Verfassungskonformität als auch die praktische Anwendung des Gesetzes zu umfangreichen Rechtsstreitigkeiten führen werden.

Bei den anstehenden Entscheidungen der Bezirksämter zur Herabsetzung von Mieten handelt es sich um Verwaltungsakte, gegen die betroffene Vermieter Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erheben müssen. Da die aufschiebende Wirkung solcher Klagen durch das Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen ist, müsste ein Vermieter zusätzlich beim Verwaltungsgericht im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen, um zu verhindern, dass ein Mieter auf Grundlage der Entscheidung des Bezirksamts bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage des Vermieters seine Miete reduziert. Dabei handelt es sich um ein eigenständiges Verwaltungsgerichtsverfahren.

Im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Verfahren prüft das Gericht ggf. inzident, ob das Gesetz verfassungswidrig ist. Geht es davon aus, muss es das Gesetz der Verfassungsgerichtsbarkeit vorlegen.

Weil die Mietherabsetzung durch das Bezirksamt nur unter relativ engen Voraussetzungen (insbesondere nur bei Überschreitung des auf eine angemessene Wohnfläche entfallenden Mietanteils von 30% des anrechenbaren Einkommens) vorgesehen ist, ist es nicht auszuschließen, dass Mieter auch den Zivilrechtsweg beschreiten werden, um einen Verstoß gegen den Mietenstopp oder den Mietendeckel zu rügen. Neben den verwaltungsgerichtlichen Verfahren droht daher auch eine zivilgerichtliche Klagewelle.

Bereits heute ist daher Vermietern zu empfehlen, ihr beabsichtigtes Vorgehen unter Einbindung rechtlicher Berater mit umfassenden Erfahrungen im Verfassungs-, Verwaltungs- und Immobilienrecht kurzfristig und für die Zukunft abzustimmen, um für rechtliche Auseinandersetzungen in einer voraussichtlich zu erwartenden Vielzahl von Verfahren gewappnet zu sein.

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